Genom-Sequenzierung avanciert zum potenten Diagnosetool

Die Sequenzierung des gesamten Genoms bietet Vorteile bei der Diagnose genetischer Erkrankungen - ist aber nicht immer notwendig. Zu diesem Ergebnis gelangen Forschende des Broad Institute of MIT and Harvard, der Harvard Medical School sowie der Universitätsmedizin Leipzig in einer entsprechenden Studie.

Um genetisch bedingte Erkrankungen zu erkennen, setzen Ärzte und Ärztinnen bislang standardmäßig das Verfahren der sogenannten Exom-Sequenzierung ein. Dabei werden Teile jener Abschnitte der menschlichen DNA analysiert, die unmittelbar für die korrekte Bildung von Proteinen zuständig sind. Dieser kodierende Teil, das Exom, macht nur etwa ein Prozent der gesamten DNA aus, ist aber besonders relevant. Allerdings hat die Methode ein Manko:

„Eine Exom-Analyse führt jedoch in zwei Dritteln der Fälle nicht zu einer Diagnose; dann stellt sich die Frage, was nun?“, erklärt Rami Abou Jamra das Problem. Er ist Professor für Medizinische Genomik an der Universität Leipzig und leitet die Genetische Diagnostik am Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Leipzig (UKL).

„Für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet eine eindeutige Diagnose sehr viel: nicht nur die Bestätigung, dass die Krankheit nicht ihre eigene Schuld ist – sie ebnet auch den Weg für öffentliche Anerkennung und eine personalisierte Therapie, wo dies möglich ist“, so der Arzt.

Um die Vorteile einer vollständigen Genom-Sequenzierung im Vergleich mit der Exom-Sequenzierung beurteilen zu können, untersuchten Wissenschaftler:innen des Broad Institute of MIT and Harvard sowie der Harvard Medical School in Boston 744 Familien. Hierbei handelt es sich um erkrankte Kinder und ihre Eltern, bei denen der Verdacht auf eine genetisch bedingte Erkrankung vorlag und bei denen eine Exom-Sequenzierung zum Teil keine Diagnose ermöglicht hatte. Das Institut für Humangenetik in Leipzig analysierte mittels Genom-Sequenzierung in einer unabhängigen Patientenkohorte 350 Familien, bei denen eine Exom-Sequenzierung kein Licht ins Dunkel gebracht hatte. Die ersten 78 Fälle flossen in die gemeinsame Studie ein.


Von allen Familien wurde die komplette DNA, das sog. Genom, in Milliarden kleine Abschnitte zerschnitten und abgelesen (sog. short read sequencing). Die Daten werteten die Forschenden mittels bioinformatischer Programme und Algorithmen aus.

„Im Vergleich zu einer Exom-Sequenzierung brachte die Genom-Sequenzierung in zusätzlichen acht Prozent der Fälle Klarheit: das ist relevant mehr“, erläutert Jamra, der die Leipziger Studie leitete. „Insbesondere, wenn eine krankheitsursächliche genetische Veränderung darin besteht, dass sehr kleine DNA-Abschnitte fehlen, unspezifische Sequenzen sich verlängern oder wenn die Veränderung gar nicht im kodierenden Teil liegt, hilft diese Methode entschieden weiter“, so der Mediziner.

Ein weiterer Vorteil der Genom-Sequenzierung, obwohl diese derzeit noch etwa zweieinhalbmal so teuer ist wie eine Exom-Sequenzierung, ist ein langfristiger: Liegen die Daten einmal vor, sei es einfach, diese später noch einmal auf neue Erkenntnisse zu überprüfen, da weltweit neue krankheitsrelevante Gen-Mutationen entdeckt und dokumentiert werden.


Original Paper:

Genome Sequencing for Diagnosing Rare Diseases | New England Journal of Medicine (nejm.org)

 

Lesen Sie dazu auch:

DGKL: Akute Myeloische Leukämie (AML) bei Kindern entsteht bereits während der fötalen Entwicklung

DGKL: Bioinformatik

 

 

 

Die DNA eines Menschen kann in Milliarden Abschnitten gelesen werden. | Quelle: Colourbox | Copyright: Colourbox

Die DNA eines Menschen kann in Milliarden Abschnitten gelesen werden. | Quelle: Colourbox | Copyright: Colourbox