Havanna-Syndrom lässt Neurologen weiter rätseln

Zwei aktuelle Studien in JAMA geben keine signifikanten Hinweise auf physiologische Anomalien bei Betroffenen des rätselhaften Havanna-Syndroms, das Forschende wie Verschwörungstheoretiker seit Jahren gleichermaßen beschäftigt.

Fakt ist: Die Betroffenen berichteten über massive neurologische Beschwerden wie Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, verschwommenes Sehen, Tinnitus und kognitive Dysfunktionen. Diese Beschwerden traten nach einem plötzlich schneidend-hohen Geräusch auf, dás von dem Gefühl eines erhöhten Drucks auf den Ohren begleitet wurde. Weil Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna erstmals im Jahr 2016 von diesem Phänomen berichteten, wird es seitdem als „Havanna-Syndrom“ bezeichnet. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen allerdings von „anomalous health incidents“ (AHIs), während Verschwörungstheoretiker über eine rätselhafte „Neuro-Waffe“ spekulieren.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat sich jetzt zum Syndrom geäußert. Was hinter den mysteriösen Auswirkungen stecke, lasse sich derzeit "wissenschaftlich nicht sicher sagen". Die jetzt in JAMA publizierten Studien jedenfalls kämen "zu eher ernüchternden Ergebnissen". Denn weder bei klinischen, noch bei Laboruntersuchungen seien signifikante Auffälligkeiten beobachtet worden. Zudem seien auch die Befunde der zerebralen Bildgebung unauffällig.

Im begleitenden JAMA-Editorial diskutiert auch David A. Relmann die Ergebnisse kritisch. Wegen der klinischen Heterogenität der Fälle seien klare Aussagen nur schwer möglich. Die untersuchten Neurodestruktionsmarker Gliafaserprotein (GFAP) und Neurofilament-Leichtketten (NFL) würden unmittelbar nach einem Hirntrauma ansteigen, nach 24 Stunden ihren Peak erreichen, dann wieder abfallen und seien oft nach drei Tagen unauffällig.

Aber nur 16 der 86 Proben seien binnen drei Tagen nach dem Ereignis entnommen worden – allein das könne erklären, warum in der Studie keine signifikanten Unterschiede zur Kontrollgruppe festgestellt werden konnten.

Relmann zufolge lagen von zwei der betroffenen Personen Vergleichswerte von vor dem Ereignis vor; bei einem der beiden wurde ein signifikanter Anstieg in den Stunden nach dem Ereignis beobachtet, der dann in den nächsten Tagen wieder zurückging. Relmann führt darüber hinaus ältere Studien an, die einen möglichen Zusammenhang zu hochfrequenter elektromagnetischer Energie, etwa Mikrowellenstrahlung, nahelegen. Auch Ultraschall wird als Ursache diskutiert. 

„Die derzeitige Datenlage ist zu dünn, um sagen zu können, womit wir es beim Havanna-Syndrom wirklich zu tun haben“, erklärt dazu Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Die klinischen Symptome ähneln denen einer Vestibularisneuropathie oder Vestibularismigräne. Allerdings fehlen aussagekräftige Untersuchungsergebnisse, um hier wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können. Und ob die Symptome durch Mikrowellenstrahlung induziert sein könnten, ist völlig offen.“ 

Nach Ansicht der DGN müssten neu auftretende Fälle innerhalb der ersten 24 Stunden nach Symptombeginn neurologisch untersucht und mögliche Biomarker umfassend und standardisiert erfasst werden, bevor valide Aussagen getroffen werden können. Die Befunde der aktuellen Studien zeigten jedenfalls keine bleibenden Folgen bei den „anomalous health incidents“ des so genannten Havanna-Syndroms.


Originalpublikationen:

 

  • doi: 10.1001/jama.2024.2413
  • doi: 10.1001/jama.2024.2424
  • doi: 10.1001/jama.2023.26818
Havanna-Syndrom nach wie vor ein Rätsel. Credits: Pexels/Noriely Fernandez

Havanna-Syndrom nach wie vor ein Rätsel. Credits: Pexels/Noriely Fernandez