NACHGEFRAGT: „Eine Aufteilung Deutschlands in mehrere Preiszonen ist nicht zielführend“

In Deutschland beträgt der Anteil des Gesundheitssektors an den nationalen CO2-Emissionen 5,2 Prozent und damit mehr als der globale Durchschnitt der Branche. Denn der Studie "Health care climate footprint report" zufolge ist der Gesundheitssektor für 4,4 Prozent der globalen Nettoemissionen (2 Gigatonnen CO2 Äquivalent/Jahr) verantwortlich. Vor diesem Hintergrund hat sich der 125. Deutsche Ärztetag bereits vor drei Jahren dafür ausgesprochen, dass das deutsche Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral wird (Beschluss II-03). Eine wichtige Stellschraube auf dem Weg der Energiewende sind die Strompreise.

Die zeitlich und örtlich variierende Stromerzeugung durch erneuerbare Energien führt allerdings zu größeren Schwankungen im Stromangebot und bei den Strompreisen. Übertragungsnetzbetreiber müssen immer häufiger eingreifen, um Angebot und Nachfrage auszugleichen und damit Stromausfälle zu vermeiden. Die EU-Kommission prüft daher eine mögliche Aufteilung der deutschen Einheitspreiszone auf dem Day-Ahead-Markt in kleinere Preiszonen. Forschende der TUM um Martin Bichler konnten jetzt zeigen, dass kleinere Preiszonen kaum Effekte auf den Strompreis und auf Netzausgleichsmaßnahmen hätten. Die Nutzung knotenscharfer Preise könnte dagegen die Gesamtstromkosten der Energiebereitstellung um neun Prozent senken.

Martin Bichler ist Professor für Decision Sciences and Systems am Department of Computer Science der TUM. Seine Forschungsschwerpunkte legt er auf mathematische Optimierung, Maschinelles Lernen, und Marktdesign und bildet damit eine Schnittstelle zwischen Informatik und den Wirtschaftswissenschaften. Im Interview geht er auf die wichtigsten Aspekte ein.

Was wird zu diesem Thema gerade politisch diskutiert und wie schließt Ihre Forschung daran an?

Derzeit wird diskutiert, Deutschland in zwei bis vier Preiszonen zu unterteilen anstatt der aktuellen Einheitspreiszone. Die EU-Kommission hat hierfür die Überprüfung der Preiszonen, den sogenannten Bidding Zone Review, in Auftrag gegeben, um die Preiszonen in der EU neu zu bewerten. In unserer Studie haben wir mit dem Datensatz aus dem Bidding Zone Review untersucht, wie sich die Strompreise und Kosten für Netzausgleichsmaßnahmen entwickeln, wenn man Deutschland in die vorgeschlagenen Strompreiszonen unterteilt. Eine so umfangreiche Datenbasis hat in der Vergangenheit für Analysen gefehlt.

Darüber hinaus haben wir lokale bzw. knotenscharfe Preise berechnet. Während bei einem zonalen Preissystem ein stündlicher Strompreis für die gesamte Gebotszone gilt, wird bei einem lokalen Preissystem für jeden Einspeise- oder Entnahmepunkt, den sogenannten Netzknotenpunkten, ein individueller Preis festgelegt.

Wie stark würde die Strukturierung nach Netzknoten die Stromkosten reduzieren?

Bei den Strompreiszonen hat sich gezeigt, dass sich die Preise in den einzelnen Zonen kaum unterscheiden würden. Gleichzeitig würden auch die Preisvarianz und die Kosten für Netzausgleichsmaßnahmen nicht wesentlich sinken, im Vergleich zum Strompreis in einer deutschen Einheitspreiszone. Viele Expertinnen und Experten haben sich eine stärkere Auswirkung eines Zonensplits erwartet, den wir aber in den Daten, die für die Bidding Zone Reviews zur Verfügung gestellt wurden, nicht sehen.

Mit unserer Berechnung konnten wir zeigen, dass die niedrigsten Gesamtkosten entstehen, wenn Deutschland lokale Preise nutzen würde. Im Vergleich zum Einheitspreis beziehungsweise den Preisen in größeren Strompreiszonen würden die Gesamtkosten um etwa neun Prozent sinken. Das liegt insbesondere daran, dass im Marktmechanismus Netzrestriktionen berücksichtigt werden und es gelingt, die zur Verfügung stehenden Ressourcen effizient zuzuteilen. Dadurch können kostspielige Netzausgleichsmaßnahmen weitgehend vermieden werden.

Um diese Effekte zu verstehen, muss man beachten, wie der Strompreis derzeit zustande kommt.

Die Strompreise für ganz Europa werden bei einer Day-Ahead-Auktion jeweils für den nächsten Tag festgelegt. Insgesamt gibt es in Europa verschiedene Preiszonen, für die sich jeweils eigene Strompreise ergeben. Das können ganze Länder sein. Es gibt aber auch einige europäische Länder, wie Italien, die in mehrere Preiszonen unterteilt sind.

Wie ist die Situation in Deutschland?

Deutschland hat nur eine Preiszone. Nun kann es beispielsweise dazu kommen, dass im Norden Deutschlands viel Windenergie erzeugt wird, die Nachfrage aber im Süden besonders hoch ist. Aufgrund der begrenzten Netzkapazitäten kann der Strom nicht ohne weiteres von Nord nach Süd transportiert werden. Bei der Day-Ahead-Auktion wird der Einheitspreis für Deutschland aber so berechnet, als wäre dies möglich.

Welche Probleme ergeben sich durch den Einheitspreis?

Die aktuelle Preisgestaltung führt dazu, dass auf Seiten der Nachfrage kaum ein Anreiz besteht, den Verbrauch bei Stromknappheit anzupassen – weil ja der Preis an Orten mit Knappheit genauso hoch ist wie an besser versorgten Orten.

Im genannten Beispiel wird die Produktion von Windkraft im Norden gedrosselt und teure Gaskraftwerke werden im Süden hochgefahren, um dort die Nachfrage zu decken. Diese Netzausgleichsmaßnahmen sind sehr kostspielig und beliefen sich im Jahr 2023 auf 3,1 Milliarden Euro, die über Netzentgelte auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden.

Wie könnte man dies ändern?

Indem man nicht einen Preis für große Strompreiszonen festlegt, sondern ihn für einzelne Knotenpunkte im Stromnetz berechnet. Dieses System wird weltweit in vielen Ländern wie beispielsweise den USA praktiziert. So gibt es etwa in Texas rund 4.000 Knotenpunkte. An einigen Knotenpunkten steht aufgrund des schwankenden Stromangebots zeitweise sehr viel Strom zur Verfügung und an anderen weniger. Entsprechend ginge der Strompreis an diesen Stellen temporär runter beziehungsweise hoch.

Bei steigenden Preise gäbe es einen Anreiz für die Industrie, an diesen Knoten die Nachfrage zu reduzieren. Entweder würde die Produktion verschoben oder es würde auf gespeicherte Energie zurückgegriffen. Diese Nachfrageflexibilität würde dem Netzbetreiber helfen, das Netz zu stabilisieren und die Notwendigkeit für Netzausgleichsmaßnahmen substantiell reduzieren.

Quelle: TUM


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Martin Bichler, Professor für Decision Sciences and Systems | Quelle: Astrid Eckert | Copyright: © Astrid Eckert, München

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